Ostern 2011. Es war ein schönes sonniges Wochenende. Noch etwas kühl hier und da - aber durch und durch traumhafte Frühlingstage. Ich hatte mich wahnsinnig darauf gefreut. Wir sind für 3 Tage nach München gefahren, hatten ein Hotelzimmer gebucht, direkt am Sendlinger Tor. Die Tante meines Freundes wohnt in München. Seine Mutter war bei ihr und wir trafen uns zum Kaffee. Es war das erste gemeinsame Treffen nachdem wir im Februar den Vater meines Freundes nach seinem 2jährigen Kampf gegen die Leukämie zu Grabe getragen hatten. Dies brachte eine gewisse Schwere in dieses von außen betrachtet wunderschöne Wochenende. Die Tage waren erholsam und beklemmend zugleich - wusste ich, dass der Vater meines Freundes München geliebt hatte. Ich selbst kannte München bis dahin noch nicht wirklich. War nur zweimal dort auf einem Seminar gewesen. Ich interessierte mich sehr für die Sehenswürdigkeiten, die Lokalitäten, die besonderen Ecken. Wagte aber nicht zu fragen, das, was mein "Schwiegervater" geliebt hatte, nicht anzutasten. Da München über gute öffentliche Verkehrsmittel verfügt, konnten wir das Auto getrost stehen lassen, was dazu führte, dass wir den Alkoholpegel zwar nie hoch, aber auf einem Mindestlevel hielten. Frühstücken auf dem Viktualienmarkt mit Weißbier, zur Mittagszeit ein Gläschen Sekt und Abends zum guten Essen ein paar Gläser Wein. Das hielt uns am Leben, hielt davon ab, die Schwere zuzulassen, das "Fehlen" des "Mannes", "Vaters", "Schwiegervaters" zu thematisieren. Hätten wir den kontinuierlichen Alkoholpegel unterbrochen - das Kartenhaus wäre in sich zusammengebrochen. Das schlechte Gewissen wäre hochgekommen - Fragen wie "Dürfen wir lachen? Dürfen wir München voll und ganz erleben? Dürfen wir uns entspannen? Dürfen wir die Frühlingsluft in vollen Zügen einatmen? Dürfen wir durchatmen und die Seele baumeln lassen? Darf Farbe in unserem Leben sein?...obwohl er gestorben und nicht mehr bei uns ist?" hätten unsere Gedanken bestimmt und unsere Seele betäubt. Mein Schwiegervater war ein wunderbarer, einzigartiger Mensch. Er hat mit all seiner Kraft - trotz schwindender Energie - gegen die Leukämie gekämpft. Obwohl er das Opfer dieser grausamen Krankheit war, hat er alles dafür getan, es seiner Familie so einfach wie möglich zu machen. Hat sie geschont, vieles mit sich selbst ausgemacht. Er hat gekämpft und dennoch verloren. Er hat immer gesagt, dass es sein sehnlichster Wunsch wäre, den Frühling zu erleben. Das hat er nicht mehr geschafft. Das tut sehr weh. Es zeigt auch uns, wie machtlos wir sind. Wir wissen nicht, wie lange wir auf dieser Erde sein dürfen - wie lange unbeschwert und unbelastet. Deshalb müssen wir loslassen und trotz Trauer, das Leben weiterhin annehmen und genießen. Uns nicht zermürben, das Leid nicht Oberhand bekommen lassen. Das hätte mein Schwiegervater auch gewollt - von ganzem Herzen.