Das einzig Wichtige im Leben sind die Spuren der Liebe, die wir hinterlassen, wenn wir gehen.
Albert Schweitzer
Geboren um zu Leben (Unheilig)link
Lieber Alfred, lieber Schwiegerpapa,
ein Jahr ist es nun her, seit Du von uns gegangen bist. Ein Jahr, welches gefüllt war, mit Höhen und großen Tiefen. Ich hatte Dich knapp 2 Wochen vor Deinem Tod das letzte Mal gesehen, viel zu lange nicht, das weiß ich. Irgendwie habe ich mir selbst nicht geglaubt, als ich zum ersten Mal ein paar Wochen vor Deinem Tod das Gefühl bekam, dass Du es nicht schaffen wirst, die Leukämie nicht besiegen wirst. 2 Jahre hast Du einzigartig gegen sie angekämpft, hast Behandlungen über Dich ergehen lassen, deren Schmerzen man sich irgendwie nicht vorstellen möchte und kann. Du hast Deiner Familie jedoch immer das Gefühl vermittelt, es tragen zu können, wenig Schmerzen zu haben, es im Griff zu haben, nur wenig zu leiden. Für mich war dies eine sehr schwierige Situation. Ich bin Realist, im Vergleich zu manch anderem Familienangehörigen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Dir alles nur so wenig Schmerzen bereitet, Du es wirklich so emotional stark tragen konntest. Es kam mir manchmal so vor, als ob Du Deiner Familie sehr viel vorgemacht und vorenthalten hast, von dem Leid, welches Du tatsächlich empfunden hast. Ich hätte dies gerne einmal hinterfragt, war ich aber erst sehr sehr kurz in Deinem Leben. Ich bin erst ein paar Monate vor der schrecklichen Diagnose durch Deinen Sohn in Deine Familie gekommen. Heute bereue ich, dass ich nicht mal gefragt habe, mir einfach mal Zeit mit Dir allein zum Reden gesucht habe. Das ich falsche Rücksicht genommen habe. Nach Deiner ersten Chemotherapie hatte ich zufällig gerade bei Dir angerufen, als der Arzt bei der Visiste zu Dir gesagt hatte, dass Du die Chemotherapie auch hättest aus dem Fenster kippen können, da sie keinerlei Wirkung gezeigt hatte. Ein Satz, der fatal ist. Der so emotionslos an Dich herangetragen wurde. Und Du warst in diesem Moment auch noch alleine. Du hast auch am Telefon Würde bewahrt, hast Dich zusammengerissen und dennoch, war dies eins unserer ehrlichsten Gespräche. Man hat Dir angehört, wie schwach Du Dich in Wirklichkeit gefühlt hast, wie entsetzt Du warst, dass Dich diese Krankheit beherrscht, Dich starken großen Mann. Man hat Dir auch die Panik angehört, die Panik, nicht mehr gesund zu werden, das Leben zu verlieren. Du, der so gerne gelebt hat. Der das Leben genossen hat. Das Telefonat war gefüllt mit großem Leid. Und meiner Panik, Dir nicht die richtigen Worte zukommen zu lassen, zu wissen, das nichts Dich trösten würde. Es folgte eine weitere Chemotherapie und die hoffnungsvolle Stammzellenübertragung. Alles hast Du über Dich ergehen lassen, mit erhobenen Haupt. Du hast Dich der Krankheit entgegengestellt, den Kampf aufgenommen. Die Behandlung hatte starke Nebenwirkungen, griffen Dein Zahnfleisch und Deine Blase extrem an. Dein Appetit verschwand. Und dennoch hast Du weitergemacht. Immer und immer wieder musstest Du Dein Knochenmark untersuchen lassen und auch Deine Lunge. Untersuchungen, die einen erschaudern lassen. Nach der Stammzellenübertragung sah alles recht gut aus. Dir ging es Schritt für Schritt besser. Leider hatte Deine Spenderin während der Behandlung Ihre Bereitschaft zur Spende beendet und so fehlte Dir noch eine wichtige Bluttransfusion von ihr. Leider. Nach Deinem 70 Geburtstag, den Du im Oktober 2010 noch im Kreise Deiner Familie feiern konntest, den Du noch einmal genossen hast, ging es Dir immer schlechter. Du nahmst immer mehr ab. Die Leukämie, die bösen Zellen kamen zurück. Du warst schnell nur noch ein Schatten Deiner selbst. Musstest wieder in die Klinik. Schritt für Schritt ging es bergab. Dich in der Klinik zu besuchen, war sehr schwer. Ich hätte mit Dir gerne offener gesprochen. Ich hatte Panik, Dich zu verlieren. Ich sah auch in Deinen Augen, dass Du ebenfalls Panik hattest. Und diese Panik war leider berechtigt. Wir konnten Dich zeitweise nur noch mit Kittel und Mundschutz besuchen. Und Du? Du warst trotz Deiner extremen Schwäche jeden Tag tadellos gekleidet. Hattest eine Disziplin, aber die Kraft, die Kraft fehlte. Das letzte Mal, als ich Dich gesehen hatte, hast Du aus dem Fenster geschaut und gesagt, dass Du den Frühling gerne noch erleben würdest. Das werde ich nie vergessen. Diesen Frühling hast Du leider nicht mehr erreicht. Am 15.2.2011 bist Du der Leukämie erlegen. Ich hätte Dir so gerne geholfen, so gerne mit Dir über Deine wahren Gefühle, Ängste etc. gesprochen. Dich noch mehr kennengelernt, Dich vielleicht irgendwann mal als Opa für mein Kind gehabt. Ich hätte Dich so gebraucht. Du hattest mir immer das Gefühl gegeben, dass Du mich schätzt. Und das habe ich auch. Ich habe Dich sehr geschätzt. Es ist mir eine Ehre, dass ich Dich kennenlernen durfte. Danke für Deine Ehrlichkeit, Deine Direktheit,Deine Disziplin, Deine Lebensenergie und Deinen Humor. Ich werde immer an die gemeinsame Zeit zurück denken. Ich habe Dich sehr lieb. Und Alfred: Misch den Himmel auf!!